Die Erneuerung der SPD nach dem Wahlergebnis bei der Bundestagswahl steht auf der Tagesordnung. Die SPD muss sich verändern, jünger werden, programmatisch Gerechtigkeit und Solidarität in der heutigen deklinieren und: ihre Strukturen erneuern, offener machen, mehr Mitwirkung ermöglichen. Die Debatte ist dabei nicht neu, auch nicht für mich. 2014, ein Jahr nach der Bundestagswahl, hatte ich mit Blick auf die damalige Debatte den Beitrag „Das kann nicht alles gewesen sein“ verfasst.

Da ich den Beitrag „Das kann nicht alles gewesen sein“ auch mit Blick auf die heutige Debatte noch richtig und – bei allen Problemen, die bei dieser Aussage mitschwingen - durchaus nach wie vor für aktuell halte, findet sich dieser Beitrag noch einmal nachfolgend:

Das kann nicht alles gewesen sein

Sven Wieduwilt, 21. August 2014

Im September jährt sich die Bundestagswahl zum ersten Mal. Und im Hinblick auf die Beteiligung und Mobilisierung der Partei muss die Frage gestellt werden: War die Mitgliederbefragung zur Großen Koalition alles? Und die Antwort ist dabei: Das kann nicht alles gewesen sein. Ein Beitrag von Sven Wieduwilt, stellv. Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Hildesheim und Vorsitzender des Ortsvereins Grasdorf-Luttrum.

Wir erinnern uns noch an das letzte Quartal des Jahres 2013: die mit 25% verlorene Bundestagswahl, die intensive Debatte im Parteikonvent, bei regionalen Parteitagen oder Landesparteiräten, die Ankündigung einer Mitgliederbefragung zum Koalitionsvertrag, die Regionalkonferenzen und eine schon lange nicht mehr gesehene intensive Diskussion des „Ob“ zur Großen Koalition in unserer Partei. Die Partei diskutierte, sie lebte und sie ging selbstbewusst und offensiv in die Große Koalition. Aber wie geht es weiter?

Es wird seit vielen Jahren immer wieder über eine Verbesserung der parteiinternen Mitwirkungsmöglichkeiten gesprochen. Unter diesem Vorzeichen stand auch die Parteireform 2011. „Im Zentrum der Parteireform steht die massive Ausweitung der Beteiligungsmöglichkeiten für die Mitglieder.“ – so der Beschluss des Parteivorstandes vom 26. September 2011. Wobei: Auch zum Zeitpunkt des Beschlusses konnte man feststellen, dass viele Vorschläge nicht neu waren. Zu nennen sind in dem Zusammenhang das Projekt „SPD 2000“ unter dem früheren Bundesgeschäftsführer Karl-Heinz Blessing in den Jahren 1991 ff., die Kommission zur Mitgliederentwicklung unter Christoph Zöpel in den Jahren 1994/1995, im Jahr 2000 „Demokratie braucht Partei“ vom damaligen Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering. Bislang sind alle Initiativen der letzten Jahrzehnte überwiegend versandet, meistens mit dem Hinweis auf bevorstehende Wahlen.

Das Institut für Demokratieforschung an der Georg-August-Universität Göttingen hat eine empirische Studie zu Meinungen und Einstellungen der SPD-Mitglieder anlässlich der Mitgliederbefragung der SPD im Dezember 2013 verfasst. Gefragt wurde auch nach der Zufriedenheit mit den parteiinternen Mitwirkungsmöglichkeiten. Ergebnis: „Männer geben sich insgesamt zufriedener, während Frauen auch hier vorsichtiger und deutlich überproportional die Kategorie ,teils/teils` gewählt haben – 39,5 Prozent (gegenüber 29,6 Prozent der Männer) haben sich hierfür entschieden.“ (Butzlaff, Felix/Hambauer, Verena, Die Mitgliederbefragung der SPD. Die SPD-Mitglieder und das Votum zum Koalitionsvertrag, Göttingen, 2014, S. 13). Und 66,8 Prozent der Befragten wünschen sich einen größeren Einfluss auf „inhaltliche und programmatische Entscheidungen“ (ebd.).

Die formellen Instrumente zur Mitgliederbeteiligung hat der Bundesparteitag im Dezember 2011 gestärkt. Aber wir – und damit meine ich die Entscheidungsträger_innen in der Partei – müssen nun dafür sorgen, dass Mitgliederbeteiligung auch gelebt wird. Wir müssen überlegen, wie wir den Ansprüchen unserer Mitglieder – insbesondere, aber nicht nur (!), junger Frauen – nach mehr Mitwirkung gerecht werden. Die Aufgabe alleine der Bundespartei zuzuschieben wäre zu einfach. Insbesondere die Ebenen der Bezirke und Unterbezirke haben hier eine Verantwortung, in der man sie aber auch stärken und ernst nehmen muss. Eine Verantwortung, die von ihnen selbst aber auch gelebt und eingefordert werden muss. Ihnen obliegt Meinungsbildung über offene Arbeitsgruppen, Projekte, Parteitage und eine Reaktivierung von Bildungsarbeit zu organisieren. Aber nicht als Placebo – sondern als ernst gemeintes Angebot einer modernen Mitglieder- und Programmpartei.